In der Nacht von 7. auf den 8. März 2009 starb Professor Francesco Ogliari nach
einer Erkrankung im Alter von 78 Jahren. Den meisten Deutschen wird dieser Name kein Begriff sein.
Italien trauert jedoch um einen, wenn nicht den bedeutendsten Mann des italienischen Verkehrswesens. Der Verlust ist überaus schmerzlich.
Hier folgt ein persönlicher Nachruf. Ich hatte 1988 die Gelegenheit, den großartigen Mann und Direktor im
Fremde Seite
Mailänder Museum für Wissenschaft und Technik persönlich kennen zu lernen.
Seine Visitenkarte hatte ein übergroßes Format. Das war nötig, um die Vielzahl seiner Titel aufzunehmen.
Ebenso müsste eine Liste seiner Publikationen Überformat haben. Kein anderer hat sich in Italien so um
das Verkehrswesen und die Erhaltung historischer Informationen verdient gemacht wie Professor
Ogliari. Sein Werk „Storia dei Trasporti Italiani”
mit mehr als 40 Bänden von je rund 700 Seiten gilt nach wie vor als das Standardwerk schlechthin zur Geschichte des italienischen Verkehrs.
Ohne das zu wissen, begeisterte mich sein Werk schon als kleines Kind, wenn ich endlich einmal wieder
das geliebte „Museo nazionale della scienza e della tecnica di Milano”
in der Via San Vittore, 21, besuchen durfte. Das Museum fungiert auch als das
nationale Verkehrsmuseum, und das zu Recht. Professor Ogliari hat es über 25 Jahre geleitet. Nicht nur
die Abteilung zu Leonardo da Vinci mit den vielen hervorragenden Modellen, sondern
jeder Winkel der weitläufigen, in einem ehemaligen Kloster untergebrachten Anlage übte auf mich eine
unwiderstehliche Faszination aus. Unvergesslich sind mir ein alter Rennwagen von Alfa Romeo und die vielen Lokomotiven.
Viele Jahre später konnte ich Professor Ogliari persönlich treffen. Der Grund dafür war ein
Beitrag von mir in der Zeitschrift „Bahn & Modell”.
Der agile Mann hatte mich als völlig Unbekannten dabei nach Kräften unterstützt und mir aus seiner
umfangreichen Bibliothek über einen Boten Literatur ausgeliehen und Fotos zur Verfügung gestellt.
Zum Dank für die großartige Unterstützung benannte ich das H0–Modell
eines Küstenmotorschiffs, das ich für den Beitrag gebaut hatte, nach dem Professor. Bei meiner nächsten
Reise nach Mailand konnte ich ihm die Belegexemplare dann persönlich überreichen.
Der Anwalt empfing mich sehr freundlich in seiner Kanzlei. Ich bin mir nicht sicher, ob ich je wieder
so viele Bücher auf einmal gesehen habe. Nicht nur waren alle Wände voller Regale und Schränke, überall
lagen ganze Stapel von Büchern und Zeitschriften herum. Er bat mich in sein Büro, wo an einem Tischchen
ein unscheinbarer Mann in einer grauen Freizeitjacke saß und etwas las. Der Mann wurde mir
als der Präsident der italienischen Staatsbahn vorgestellt.
Die beiden Männer betrachteten die Bilder der mitgebrachten Zeitschriften. Professor Ogliari war
begeistert und bedankte sich ein um das andere Mal - dabei war ich es, der zu danken hatte.
Da er wußte, dass ich in Mailand geboren und aufgewachsen war, schenkte er mir den ersten Band seines monumentalen
Werks, „Dall'Omnibus alla Metropolitana”. Das Buch behandelt die Geschichte
des Mailänder Verkehrswesens von den ersten Pferde–Straßenbahnen bis zu der U–Bahn, die in
meinen Kindheitstagen gebaut wurde. Die Fotos darin sind mir nach wir vor eine liebe Erinnerung.
Ebenso ist mir der kurze Nachmittag in eben jener Kanzlei noch in lebhafter Erinnerung. Wer den freundlichen
und hilfsbereiten „Cavaliere” (Ritter) kennen lernen durfte, wird verstehen, dass sein Hinscheiden
ein schwerer Verlust ist. Sein Ziel hat der Ritter erreicht: Er hat im Kampf gegen das Vergessen gesiegt.
Thomas Hey'l